HSK stellt vor: Neue Tarifmanagerin Pharma & Diagnostik
War es für dich schwierig, die neue Stelle aus dem Home-Office anzutreten?
Ich fand das tatsächlich eine Herausforderung. Sich virtuell einzuleben, ist keine einfache Sache. Was mir jedoch hilft, sind regelmässige virtuelle Kaffee-Termine mit meinem neuen Team. Ich habe zudem das Glück, einige von ihnen und insbesondere meinen Vorgesetzten schon aus der früheren Zusammenarbeit zu kennen. Das Netzwerken mit neuen externen Partnern muss leider vorerst warten.
Was hat dich dazu bewegt, von der Versicherung Helsana in die Einkaufsgemeinschaft HSK zu wechseln?
Mein Job bei Helsana war sehr vielseitig. Nur die teilweise langwierigen, strittigen Verfahren vor Gericht werden mir nicht sehr fehlen. Ich hatte nach der langen Zeit einfach Lust auf Veränderung und wollte mich noch einmal neu ausrichten, den Blickwinkel verändern. Die Herausforderung, am Aufbau eines neuen Bereichs mitzuwirken und gemeinsam mit den verschiedenen involvierten Stakeholdern Lösungen zu finden, reizt mich sehr. Gerade im hochspannenden Bereich der Diagnostik und der personalisierten Medizin suchen wir den Schlüssel zur zeitnahen Leistungsfinanzierung. Bisher hatte ich nur rechtliche Inputs zu diesen Themen beigesteuert, war nur am Rande oder bezüglich konkreter juristischer Fragen involviert. Kontaktaufbau und Pflege, sowie der Austausch und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind Komponenten, in welche ich nun sehr gerne vermehrt Energie investiere.
Du bist Juristin und hast erst kürzlich noch einen Master in angewandter Ethik abgeschlossen. Hilft das beim Verhandeln mit Leistungserbringern und der Industrie?
(Lacht) manche Vertragstexte sind tatsächlich ähnlich kompliziert, wie gewisse ethische Grundlagentexte. Aber im Ernst, was mich am Ethikstudium gereizt hat, ist die vermittelnde Perspektive zwischen den Disziplinen. Dies ist in meiner neuen Funktion unabdingbar. Wir treten aktuell in eine Ära der Medizin ein, in welcher schwere und tödliche Krankheiten potenziell heilbar werden. Die personalisierte Medizin verspricht zudem immer besser auf den individuellen Patienten ausgerichtete Therapien. Auch wenn dies für uns alle als Versicherte erfreuliche Entwicklungen sind, wirft dies gleichzeitig schwierige Fragen auf. Wieviel soll und darf eine Gentherapie kosten, welche einem Kind mit Muskelatrophie die Lebenserwartung ins Erwachsenenalter verlängert? Die bestehenden Tarifsysteme und das Gesundheitswesen vieler Länder sind ungenügend auf die Bewertung und Vergütung solcher Therapien ausgerichtet. Die entsprechenden Preisverhandlungen und nötigen Reformen lassen sich nur aus einer interdisziplinären Perspektive, an der Schnittstelle von Medizin, Recht, Ökonomie und Politik durchführen.
Das kling nach schwierigen Verhandlungen, führst du diese ganz allein?
Nein. Viele der Themen in meinem Bereich und im Team Spezialverträge allgemein lassen sich allein nicht vorantreiben. Der Aufbau von Partnerschaften ist zentral und die Zusammenarbeit mit den Versicherern und auch dem Branchenverband curafutura ist unabdingbar. Das Thema «neue, besondere Therapien» hängt stark von den Entwicklungen auf nationaler Ebene ab. Zudem haben unsere drei Versicherer Helsana, Sanitas und KPT in diesem Bereich erfahrene Experten, welche sich täglich nicht nur mit der Abwicklung, sondern auch der Bewertung neuer Therapien befassen. Ohne die Zusammenarbeit mit ihnen wäre meine Arbeit nicht möglich. Weiter ist bei diesen Themen der regelmässige Austausch mit den beiden anderen Einkaufsgemeinschaften CSS und tarifsuisse sehr wichtig.
Wieso befassen sich eigentlich die Einkaufsgemeinschaften mit solchen neuen Therapien? Wäre das in der Schweiz nicht die Aufgabe des Bundesamtes für Gesundheit (BAG)? Oder der SwissDRG AG?
Es geht hier vornehmlich um neue Therapieverfahren, welche primär im stationären Bereich verabreicht werden oder welche nicht Arzneimittel im eigentlichen Sinne sind. Für neue Therapien im stationären Bereich sind gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG, Art. 49 Abs. 1) die Tarifpartner, nicht das BAG zuständig. Ist eine neue Therapie noch nicht in SwissDRG abbildbar, kann die SwissDRG AG keine Preise festlegen, da hierfür explizit die Tarifpartner selbst zuständig sind.
Dies gilt ebenso für neue Therapie- und diagnostische Verfahren im ambulanten Bereich. Neue Verfahren, welche eine Pflichtleistung darstellen und nicht unter einen Amtstarif (Spezialitätenliste, Analyseliste) fallen, müssen von den Tarifpartnern tarifiert werden. Hier besteht das Problem, dass der TARMED im Vergleich zum stationären Bereich nicht als lernendes System ausgestaltet und hoffnungslos veraltet ist. Damit solche Verfahren zugunsten der Versicherten abgerechnet werden können, braucht es immer häufiger separate Tarifverträge. Die Einführung der Tarifstruktur TARDOC könnte hier etwas Abhilfe schaffen, da diese «lernfähig» ausgestaltet ist.
Wer entscheidet denn, was verhandelt wird? Wie muss man sich den Ablauf einer solchen Tarifverhandlung vorstellen?
Der gesamte Ablauf ist in der Tat nicht einfach. Zur optimalen Nutzung der vorhandenen Kompetenzen haben wir bei der Einkaufsgemeinschaft HSK ein neues Gremium für neue Therapien und diagnostische Verfahren gebildet, welches sich aus Fachexperten der drei Versicherer zusammensetzt. Steht die potenzielle Tarifierung einer neuen Therapie an, entscheidet dieses Gremium über ein Verhandlungsmandat. Für die Verhandlung von Tarifverträgen mit Leistungserbringern ist die Einkaufsgemeinschaft HSK zuständig. Bei neuen Therapien kann aber ein wirtschaftlicher Preis meist nur durch zusätzliche Verhandlungen mit den entsprechenden Zulassungsinhaberinnen (bspw. Pharmafirmen) sichergestellt werden. Führen die Verhandlungen zu einer Einigung über Preis und Tarifvertrag, prüft das Koordinationsgremium, ob der Tarifvertrag den Vorgaben zur Leistungsabwicklung entspricht. Nach Abnahme in beiden Gremien leitet HSK das Genehmigungsverfahren bei den zuständigen Behörden ein.
Das klingt recht kompliziert und aufwändig. Was braucht eine gute Verhandlerin, um solche Verhandlungen zum Erfolg zu führen? Ein Pokerface?
Nein, Ausdauer (lacht). Das vergleicht man besser mit einem Marathon oder Hindernislauf. Ich bin vielmehr Teamplayer, als Pokerspielerin – auch wenn wir nicht immer gleich alle Karten auf den Tisch legen. Ein rascher Zugang zu neuen besonderen Leistungen und Therapien zu ermöglichen ist zeitaufwendig und erfordert nebst Geduld und Hartnäckigkeit auch schlicht viel Koordination. Die verschiedenen Interessen zu verbinden und für alle Parteien akzeptierbare Lösungen zu finden, ist eine echte Herausforderung. Wir bewegen uns in einem ständigen Spannungsfeld. Es gilt, allen Versicherten – nicht nur den Versicherten von Helsana, Sanitas und KPT – möglichst schnellen Zugang zu neuen Therapien mit ausgewiesenem Mehrnutzen zu ermöglichen, und dadurch der im Gesetz verankerten zentralen Gleichbehandlung Rechnung zu tragen. Gleichzeitig müssen wir im Sinne der zwingend vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeit auf eine gerechtfertigte Vergütungshöhe hinwirken. Mittelfristig werden diese neuen Therapien im stationären Bereich in die Tarifstruktur SwissDRG aufgenommen. Aber bis es soweit ist, braucht es rasche «Branchenlösungen», damit der Zugang zu neuer Spitzenmedizin rasch erreicht werden kann.
Kannst du uns ein konkretes Beispiel einer solchen Verhandlung nennen?
Die Verhandlungen über die neuen CAR-T-Zelltherapien sind ein gutes Beispiel: Am Verhandlungstisch mit den Herstellern (Novartis, Gilead und BMS) und dem Leistungserbringer (H+) sassen schon zu Beginn nicht nur die Einkaufsgemeinschaft HSK (Helsana, Sanitas und KPT), sondern auch die Versicherer CSS und SWICA. Nach anfänglich separater Verhandlung werden die Verhandlungen mittlerweile zusammen mit den restlichen Versicherern, vertreten durch die tarifsuisse, geführt. Im Verbund mit anderen Versicherern erreicht man eine stärkere Wirtschaftlichkeit. Wichtig dabei ist, die Compliance einzuhalten. Bei diesen neuen Gen- und Zelltherapien im stationären Bereich werden keine Höchstpreise vom BAG festgelegt, wie dies bei Arzneimitteln der Fall ist. Das stellt für die Versicherer eine Herausforderung dar, weil sie in diesem Bereich fast eine behördenähnliche Rolle übernehmen, in dem sie die evidenzbasierte Preisbestimmung vornehmen müssen. Hinzu kommt, dass in diesem Gebiet kaum Wettbewerb vorhanden ist, da gewisse innovative Zell- und Gentherapien nur von wenigen Pharma-Herstellern in der Schweiz angeboten werden.
Welche Verhandlungen stehen als nächstes an?
Zu den laufenden Verhandlungen lasse ich mir nicht in die Karten schauen (lacht). Aber die Arbeit wird uns bestimmt nicht ausgehen. Gemäss IQVIA befanden sich 2018 allein in der Onkologie über 800 Therapien im Spätstadium der Produktepipelines der internationalen Pharmaunternehmen, 77% mehr als noch vor zehn Jahren. Knapp 100 davon werden als sogenannte «Next-Generation Biotherapeutics» bezeichnet, wovon etwa ein Viertel CAR-T-Therapien sind. Selbstverständlich werden nicht alle diese Therapien im stationären Setting angewendet werden und fallen auch längst nicht alle in unser Verhandlungsmandat. Trotzdem braucht es eine Anpassung unserer aktuellen Tarifstruktur, damit die Therapien im stationären Bereich, welche eine Marktzulassung von Swissmedic erhalten, in einem ordentlichen Prozess, zu einem wirtschaftlichen Preis den Versicherten zugänglich gemacht werden können. Hier sind wir aktuell über unseren Branchenverband curafutura und den anderen Partnern der SwissDRG AG an der Erarbeitung eines neuen Prozesses zur Tarifierung und Abbildung solcher Therapien.
Kannst du zum Abschluss noch etwas dazu sagen, was die Schweiz bei solchen Reformen vom Ausland lernen kann?
Ganz allgemein ist die Ergebnis- bzw. Qualitätsmessung bei der Vergütung noch keine Schweizer Kernkompetenz. Tarife und Preise werden im Schweizer Gesundheitswesen grundsätzlich kostenbasiert berechnet. Bei Arzneimitteln werden primär Auslandpreisvergleich (APV) und therapeutischer Quervergleich (TQV) herangezogen. Insbesondere im Bereich der personalisierten medizinischen Leistungen braucht es vermehrt evidenzbasierte Kosten-Nutzen-Analysen, um die Vergütungshöhe solcher Therapien zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der Gesamtkosten-wirkung (Budget Impact). Nur so können wir den Zugang zu «echten Innovationen» mit ausgewiesenem Patientennutzen nachhaltig finanzieren und gleichzeitig verhindern, dass keine Prämiengelder für überteuerte «Scheininnovationen» ausgegeben werden. Hierbei sind andere Länder wie Grossbritannien oder Deutschland schon weiter. Die Messbarkeit der Ergebnisse in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit von Leistungen (Ergebnisqualität) wird künftig auch in der Schweiz verstärkt in den Fokus rücken müssen.
Interview: Vanessa Huber
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Publikationsdatum
28. Mai 2021