Mehr für weniger – gilt das auch für Spitalinvestitionen?
Gesundheitsversorgung – Mehr für weniger?
Die Einkaufsgemeinschaft HSK macht in 2019 die Fragestellung «Gesundheitsversorgung – Mehr für weniger» zu Ihrem Jahresthema und somit auch zum Gegenstand ihrer Jahrestagung im Zentrum Paul Klee in Bern. In Zeiten, in denen steigende Kosten und Prämien im Gesundheitssektor die Schlagzeilen beherrschen, erscheint diese Fragestellung nicht nur berechtigt, sondern auch dringend notwendig.
Bedeutendes Investitionsvolumen trotz hoher Spitaldichte
In der Schweizer Spitallandschaft ist aktuell ein regelrechter Renovierungs- und Bauboom zu beobachten. Gemäss öffentlich zugänglichen Quellen beträgt das Investitionsvolumen je nach betrachtetem Zeitraum zwischen 15 und 30 Mrd. Franken. In der ganzen Schweiz investieren fast 70 grössere Kliniken in Neubauten oder Sanierungen. Sind Spitalinvestitionen in dieser Grössenordnung bei einer so hohen Spitaldichte wie in der Schweiz berechtigt? Oder ist mehr mit weniger zu erreichen? Würden hier weniger Investitionen nicht mehr bringen? Welchen Einfluss haben solche Investitionssummen auf die Tarifentwicklung?
Trend bei den Anlagenutzungskosten
Investitionen schlagen sich als Anlagenutzungskosten (ANK) in den Kostenzahlen und im nationalen Benchmark nieder und wirken somit tariferhöhend. Analysen der Einkaufsgemeinschaft HSK zeigen, dass die Anlagenutzungskosten der Spitäler in den Jahren 2015 bis 2017 einen Wachstumstrend von über 10% aufwiesen. Dies ist bereits eine erste Folge der aktuell stattfindenden hohen Investitionstätigkeit.
Der Trend ist klar: der ANK-Anteil ist in den letzten 3 Jahren um über 10% angestiegen (ANK nach REKOLE® | Quelle = Auswertung Tarifmodelle HSK 2015-2017)
Unterschiedliche Methoden der Abschreibung
Spitäler greifen bei den Abschreibungen auf die Rekole® Methode (Revision der Kostenrechnung und Leistungserfassung) zurück. Die Methode ermöglicht eine Neubewertung des Abschreibungsobjekts zum Wiederbeschaffungswert – was tendenziell höhere Abschreibungssätze zur Folge hat. Diese Bewertung mag der betriebswirtschaftlichen Steuerung dienlich sein, ist allerdings für die Tarifermittlung nicht zulässig und widerspricht den zwingenden Vorgaben der Verordnung über die Kostenermittlung und Leistungserfassung in der Krankenversicherung (VKL). Nach der VKL Methode wird die Investitionssumme lediglich über eine fixe Laufzeit linear bis auf den Restwert Null abgeschrieben. Eine weitergehende Abschreibung ist für die Ermittlung der OKP relevanten Kosten nicht vorgesehen.
Einflussfaktor ambulante Eingriffe
Betrachtet man die Nachfrageentwicklung fällt auf, dass sich zwar aufgrund der demographischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts die Fallzahlen zukünftig erhöhen werden. Allerdings wird die Verlagerung in den ambulanten Bereich und die sich verkürzende Aufenthaltsdauer eher zu stagnierenden oder sinkenden Patienten- und Bettenzahlen im stationären Bereich führen.
Eine Studie schätzt, dass 77% der heute stationär durchgeführten Eingriffe potenziell genauso gut ambulant erfolgen könnten. Diese Zahl bezieht sich auf die sechs Gruppen chirurgischer Leistungen, die seit der Änderung der Verordnung über Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV) in 2019 ambulant durchgeführt werden müssen, sofern keine medizinischen Kontraindikationen vorliegen. Das Beratungsunternehmen PwC kommt in seinen Analysen zu ähnlich hohen Verlagerungsszenarien.
Die Einkaufsgemeinschaft HSK sieht denn auch die Gefahr, dass durch die aktuellen Investitionstätigkeiten Überkapazitäten in der Grundversicherung aufgebaut werden. „Wir stellen in den Zahlen, die wir haben fest, dass zwei Drittel des Investitionsvolumens in den stationären Bereich fliessen“, so der stellvertretende Geschäftsführer und Tarifmanager SwissDRG der HSK Riadh Zeramdini. „Im stationären Bereich betrifft nur ein Viertel des Investitionsvolumens die privaten Zusatzversicherungen nach VVG“ führt Zeramdini weiter aus. Mit diesen Zahlen wird offensichtlich, dass über den Bedarf der Grundversicherung hinaus investiert wird.
Strukturerhaltungen erhöhen die Kosten
Dies betrifft insbesondere auch die räumliche Planung. Noch immer fehlt es in der Schweiz an einer kantonal übergeordneten Spitalplanung. Trotz hoher Spitaldichte wird häufig aus regionalpolitischen oder volkswirtschaftlichen Gründen an bestehenden Spitalstrukturen festgehalten. Das Resultat dieser Fehlentwicklung sind unnötig hohe Infrastrukturkosten und Defizite in Millionenhöhe. Aus diesem Grund werden landesweit mal mehr, mal weniger erfolgreich Kooperationen und Fusionen in Angriff genommen oder sogar Schliessungen von Spitälern diskutiert.
Ein Blick in die Ostschweiz zeigt dies eindrücklich. Dort hat der Verwaltungsrat der St. Galler Spitalverbunde in einem Strategiepapier die Schliessung von fünf der neun Häuser aufgrund eines künftigen strukturellen Defizites von jährlich 70 Millionen Franken empfohlen. Heidi Hanselmann, Regierungsrätin im Kanton St. Gallen und Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes des Kantons St. Gallen, befasst sich derzeit intensiv mit diesem Thema vor Ort, wobei der politische Entscheidungsprozess erst begonnen hat. Heidi Hanselmann wird auch als Referentin an der diesjährigen HSK-Tagung auftreten und die Sichtweise der Politik wiedergeben.
Unnötiger Komfort oder Prozessoptimierung?
Ein weiterer Trend, der im Hinblick auf Spitalinvestitionen beobachtet werden kann, ist der steigende Komfort der neuen Spitalbauten. Jüngstes Beispiel ist das Universitätsspital Zürich, das verkündete, für sämtliche Patienten (auch solchen der Grundversicherung) Einzelzimmer zu bauen. Die Argumente, damit die internen Prozesse zu verbessern oder Infektionsquoten zu reduzieren, sind nachvollziehbar. Sie begründen allerdings solche Prestigeprojekte nur in Teilen. Für die HSK drängt sich der Verdacht auf, dass der Umfang dieser Vorhaben klar über den Bedarf aus Versorgungssicht hinausgeht. Vielmehr werden hier unter dem Deckmantel der Prozess- und Qualitätsoptimierung freiwillige Investitionen in Komfort getätigt, um im Wettbewerb um Patienten Standortvorteile zu erlangen. Wenn aus unternehmerischer Sicht auch nachvollziehbar, dürfen solche Investitionen nicht aus der Grundversicherung finanziert werden.
Ist mehr nun weniger?
Gemäss KVG darf die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) nur das zahlen, was wirtschaftlich ist. Die Strategie der HSK ist es daher, die Kosten entsprechend zu benchmarken und Ineffizienzen, auch im Investitionsbereich, kritisch in den Preisverhandlungen zu hinterfragen. Spitäler mit einem wirtschaftlich ausgerichteten Investitionsverhalten sollen entsprechend belohnt werden.
Spannender Ausblick auf unsere Tagung
Weitere Fragestellungen wie diese werden auf der bevorstehenden HSK-Tagung am 5. September 2019 unter dem Motto «Gesundheitsversorgung – Mehr für weniger?» diskutiert. Wir haben namhafte Referentinnen und Referenten sowie einen erstklassigen Moderator und Schweizer Komiker für das Programm gewinnen können, welche das Thema von allen Seiten beleuchten werden. Neben der politischen Sicht wagen wir auch einen Blick über die Grenze ins dänische Gesundheitssystem, lassen Leistungserbringer sowie die Forschung zu Wort kommen. Die eingeladenen Referenten werden für spannende Vorträge und eine kontroverse Podiumsdiskussion sorgen. Haben wir Sie neugierig gemacht? Dann verfolgen Sie die Berichte hierzu in der nächsten Ausgabe unseres Newsletters weiter und reservieren Sie sich noch heute das Datum der HSK Tagung in Ihrem Kalender. Die Einladungen werden im Frühling verschickt.
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Weiterführende Informationen
https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/publications/2019/obsan_bulletin_2019-01_d_0.pdf https://www.pwc.ch/de/publications/2018/schweizer-spitaeler-2017.pdfPublikationsdatum
4. März 2019