Parallelen und Unterschiede von UVG und KVG bei der Tarifpartnerschaft
Im Bild: Melanie Zemp, stellvertretende Direktorin und Bereichsleiterin stationäre Tarife bei der Zentralstelle für Medizinaltarife UVG (ZMT)
Partnerschaft und Fortschritt erzielt man nur, wenn man über die gewohnten Grenzen hinausdenkt. Im Rahmen unseres Jahresmottos «Tarifpartnerschaft 2.0 – gemeinsam neue Wege gehen» möchten wir im Jahr 2024 den Horizont zur Tarifpartnerschaft nochmals erweitern. In diesem Beitrag schauen wir daher über den eigenen Tellerrand des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) hinaus und erhalten spannende Einblicke in den Bereich des Unfallversicherungsgesetzes (UVG). Wir haben dazu Melanie Zemp, stellvertretende Direktorin und Bereichsleiterin stationäre Tarife bei der Zentralstelle für Medizinaltarife UVG (ZMT) interviewt.
Frau Zemp: Wofür stehen die Abkürzungen ZMT und MTK und wie hängen beide Begriffe | «Organisationsformen» zusammen?
MTK steht für Medizinaltarif-Kommission UVG. Sie ist seit 1.1.2015 als Verein ausgestaltet. Über ihn haben sich alle UVG-Versicherer zusammengeschlossen, um einheitliche Medizinaltarife und Zusammenarbeitsverträge im Unfallversicherungsbereich auszuhandeln und anzuwenden. An den Vorstandssitzungen nehmen ebenfalls Vertreter der Militärversicherung und des Bundesamtes für Sozialversicherungen teil, weil die Tarifverträge auch im Bereich der Invaliden- und Militärversicherung angewendet werden.
ZMT steht für Zentralstelle für Medizinaltarife UVG. Sie ist die Geschäftsstelle des Vereins MTK und organisatorisch der Suva angegliedert. Als Fachstelle ist die ZMT für die Verhandlungen mit den Spitälern und Verbänden zuständig und gibt den Mitgliedern der MTK Auskunft über die Auslegung der Vereinbarungen. Sie bereitet zudem die Beschlüsse der MTK vor, bearbeitet diese und führt sie aus.
Welche Parallelen existieren aus Ihrer Sicht bei Tarifverhandlungen des UVG-Bereichs im Vergleich zum KVG-Bereich?
Im Rahmen der Tarifverhandlungen sind bestimmte Parallelen erkennbar, insbesondere in Bezug auf die Rahmenbedingungen, die Zusammenarbeit sowie die angewendeten Tarifstrukturen. Das Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) und die Verordnung (UVV) sehen vor, dass die Tarife sowohl mit den anderen Sozialversicherungszweigen als auch mit dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG), koordiniert sind. Zudem sollen die Tarife auf gesamtschweizerischen Strukturen beruhen. Um dies zu gewährleisten, nimmt die ZMT | MTK in den entsprechenden Gremien, welche die Tarifstrukturen pflegen, Einsitz (SwissDRG AG, OAAT AG). In diesen Gremien ist die Zusammenarbeit mit den KVG-Versicherer-, und den Leistungserbringer-Verbänden sehr wichtig. Aus unserer Sicht ist eine koordinierte Anwendung dieser Tarifstrukturen von grossem Vorteil. Schliesslich ist die eigentliche Leistung, die von einer Ärztin oder einem Spital erbracht wird, identisch, unabhängig davon, ob eine nach KVG versicherte Studentin oder eine nach UVG versicherte Lernende einen Unfall hat. Auch für die Preisbildung, zum Beispiel der Basispreis im Spital, sind gewisse Gesetzesartikel aus dem KVG sinngemäss anwendbar. Beispielsweise werden im stationären Bereich die so genannten anrechenbaren Kosten in gleicher Weise ermittelt.
Worin bestehen die Unterschiede zwischen UVG- und KVG- Bereich bezüglich der Medizinaltarife und den Tarifverhandlungen? Machen diese Unterschiede Ihrer Meinung nach Sinn?
Der relevanteste Unterschied bezüglich der Medizinaltarife ist der gesamt-schweizerische Fokus der UVG-Tarife. Anders als im KVG-Bereich, werden im UVG-Bereich die Tarifverträge und Tarife nach national einheitlichen Grundsätzen vereinbart. So spielen Kantonsgrenzen und Kantone keine Rolle. Im Fall von Festsetzungen wäre grundsätzlich der Bundesrat zuständig. Für ambulante Behandlungen werden Tarifverträge auf gesamtschweizerischer Ebene zu einem schweizweit einheitlichen Taxpunktwert mit den Leistungserbringer-Verbänden (z.B. FMH oder H+) abgeschlossen. Darüber hinaus werden über alle UVG-Versicherer hinweg einheitliche Tarife angewendet.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die UVG-Versicherer die Tarife im stationären Bereich vollständig selbst finanzieren und damit, anders als im KVG, ohne Beteiligung der Kantone. Im Unterschied zum KVG existiert im UVG allerdings kein Kontrahierungszwang und damit besteht keine Verpflichtung, mit jedem zugelassenen Leistungserbringer einen Tarifvertrag abschliessen zu müssen. Im stationären Bereich wird mittels Tarifverträge mit Spitälern oder Spitalgruppen die Versorgungssicherheit gewährleistet. Ein vertragsloser Zustand ist, sofern er nicht versorgungsrelevant ist, also ausdrücklich vom Gesetz vorgesehen. Dies macht aus meiner Sicht Sinn, denn zum einen müssen nur versorgungsrelevante Leistungserbringer berücksichtigt werden, zum anderen sind die versicherten Personen respektive ist das Patientenkollektiv im KVG-Bereich und im UVG-Bereich nicht deckungsgleich. Beispielsweise schliessen wir im UVG-Bereich keine Verträge mit Geburtshäusern ab.
Zwar kennen sowohl das UVG als auch das KVG den Grundsatz des «Vertragsprimats» bzw. der «Tarifautonomie». Allerdings räumt das UVG mit diesen Unterschieden den Vertragspartnern insgesamt betrachtet mehr Freiräume ein und fördert damit das Vertragsprimat stärker, als es das KVG tut. Damit kann sich tendenziell auch die Kompromissbereitschaft erhöhen.
Welchen Herausforderungen steht die ZMT|MTK in Punkto Tarifverhandlungen und -festsetzungen gegenüber? Wie gedenken Sie, diese zu meistern?
Eine grosse Herausforderung wird die Einführung des neuen ambulanten Arzttarifes sein. Die ZMT | MTK setzt sich dafür ein, dass der veraltete TARMED endlich abgelöst wird und die neue ambulante ärztliche Tarifstruktur im KVG auch für die Unfall- (UV), Invaliden- (IV) und Militär- (MV)-Versicherung übernommen wird. Im stationären Bereich führt der Kostendruck in den Spitälern zunehmend zu einem höheren Finanzierungsanspruch gegenüber den Versicherern. Dies spürt auch die ZMT|MTK, obwohl wir insgesamt einen bedeutend kleineren Teil der Leistungen finanzieren als die KVG-Versicherer. Umso wichtiger ist, dass Tarifanpassungen nachvollziehbar, datenbasiert, argumentativ gut begründet und politisch vertretbar sind. Um mit diesen Rahmenbedingungen arbeiten zu können und tatsächlich Kompromisse zu ermöglichen, ist gegenseitiges Vertrauen und Transparenz unabdingbar.
Die Einkaufsgemeinschaft HSK stellt das Thema «Tarifpartnerschaft» auch dieses Jahr wieder in ihren Fokus und treibt die Weiterentwicklung des Kernthemas auf innovative Weise voran. Was verstehen Sie persönlich unter Tarifpartnerschaft und welche Rolle spielt die ZMT|MTK bei der Tarifpartnerschaft?
Die Tarifpartnerschaft ist meines Erachtens ein zentrales Element der Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Tarifpartnerschaft bedeutet für uns als Organisation, sich aktiv und lösungsorientiert bei der Gestaltung und Aushandlung von Tarifstrukturen und bei der Preisbildung einzubringen. Dieser Ansatz mag zwar längere Entscheidungsprozesse nach sich ziehen, führt aber zu ausgewogeneren und nachhaltigeren Ergebnissen als beispielsweise top-down verordnete Tarifanpassungen. Seit vielen Jahren engagiert sich die ZMT|MTK daher dafür, dass Lösungen ohne staatliche Interventionen gefunden werden können. Sie war massgeblich bei der Einführung von Tarifen wie TARMED oder AP-DRG, und später SwissDRG, beteiligt. Unsere Organisation setzt sich ferner dafür ein, dass gesamtschweizerische Tarifstrukturen laufend weiterentwickelt werden. Zudem sind wir auch im Bereich der Qualitätsförderung aktiv, etwa im ANQ, dem nationalen Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (https://www.anq.ch/de/anq/verein/). In all diesen Gremien investieren wir gezielt personelle Ressourcen, um die Interessen der eidgenössischen Sozialversicherer (UVG, MVG, IVG) zu wahren und die geforderte Koordination sicherzustellen.
Im Moment ist eine ganze Reihe gesetzlicher Anpassungen und Änderung von nationalen Spielregeln geplant. Zu erwähnen sind u.a. EFAS, Tarifermittlung, DigiSanté, ambulante ärztliche Leistungen und neue Tarifstruktur, Qualitätsverträge oder der Art. 47c KVG. Was davon wird Ihrer Meinung nach die Tarifpartnerschaft im Gesundheitswesen generell am meisten tangieren?
Alle diese Neuerungen oder Überarbeitungen werden an der einen oder anderen Stelle deutlich spürbar sein und sich teilweise gegenseitig beeinflussen. Gleichzeitig entwickeln sich die medizinischen Behandlungen, die durch die Tarife abgebildet und finanziert werden, laufend weiter. Im Wissen, dass wir mit der Umsetzung teilweise etwas hinterherhinken, sollten wir darauf hinwir-ken, die Strukturen zeitnah weiterzuentwickeln und Fehlanreize zu beseitigen. Potenzial sehe ich in der Schaffung besserer Anreizsysteme durch eine Förderung wertorientierter Gesundheitsversorgung (value based healthcare) und smarter medicine. Hier bieten sich Chancen für tarifpartnerschaftliche Lösungen, von denen alle Parteien, einschliesslich der Patientinnen und Patienten, profitieren.
Herzlichen Dank für das Interview, Frau Zemp!
Das Interview führte Verena Haas, Kommunikation, Einkaufsgemeinschaft HSK AG.
Publikationsdatum
24. April 2024